Sonntag, 6. September 2015

Durch die Wildnis von Zanskar

Anfangs August reisen Corina und ich für einen Monat nach Nordindien. Geplant sind zwei grosse Treks im Ladakh. Wir beide kennen das Gebiet schon von einer früheren Reise, und da uns die Landschaft und die Kultur so gut gefallen haben, fällt uns der Entscheid leicht, ein zweites Mal in dieses wunderbare Gebiet zu reisen.
Für dieses Mal haben wir uns vorgenommen, das immer noch sehr abgelegene Zanskar zu besuchen. Eine anstrengende, zweitägige, holprige Jeepfahrt führt uns durch eine eindrückliche Hochgebirgslandschaft in dieses einsame Königreich, welches über die Hälfte des Jahres abgeschnitten von der Restwelt ist. Der Trek wird uns dann von Padum zuerst nach Lingshed führen, dann auf sehr einsamen Pfaden ins abgelegene Dibling. Von hier geht es über die zwei hohen Pässe Pudzong-La und Kanji-La nach Kanji unweit von Lamayuru.
In Padum haben wir einen Ruhetag eingeplant, an dem wir das Kloster Karsha besuchen. Das nächste Mal würde ich eher noch mehr Zeit einplanen, um auch noch die abgelegenen Höhlenklöster von Phuktal oder Dzongkul zu besuchen. Das Kloster Karsha ist an diesem Tag ziemlich ausgestorben, weil just an diesem Tag in Padum ein grosser buddhistischer Gottesdienst stattfindet. 

Tag 1: Rinam - Pishu (2h)
Die erste Etappe unseres Treks führt von Rinam nach Pishu. Nach Rinam gelangt man mit dem Taxi, die Piste ist zwar holprig, aber auch für 'normale' Autos noch einigermassen gut machbar. Die weitergehende Strasse ist durch den Fluss grossräumig weggespült, es wird sicher Monate bis Jahre dauern, bis sie wieder repariert ist. 
Nach Pishu sind es gerade mal zwei Stunden, man muss also nicht vor dem Mittag in Padum losfahren, um den Zeltplatz in Pishu im Tageslicht zu erreichen. Der Weg ist leicht, so im Bereich T1 bis T2, und würde sich gut zum Reiten eignen. So kann man auch gut die eindrückliche Landschaft des Zanskar-Tals bestaunen. Der Zeltplatz liegt unmittelbar neben dem Fluss, Mutige könnten an einem Sandstrand sogar im reissenden Zanskar schwimmen.

Tag 2: Pishu - Hanumil (6h)
Auch die zweite Etappe führt durch das riesige Zanskar-Tal. Wir haben uns vorgenommen, die heutige Etappe teils hoch zu Ross zurückzulegen. Die Gäule sind eher gehfaul, mehr als ein gemächlicher Trott liegt nicht drin. Man muss aber auch sagen dass wir beide nicht reiten können, vielleicht liegts auch daran :). Auch diese Etappe ist leicht und abwechslungsreich, besonders hervorstechen eine Sumpf-Passage, die auf dem Pferderücken trockenen Fusses absolviert werden kann, und die letzte Stunde vor Hanumil, wo der Weg steil und exponiert (T3) unter eindrücklichen Sandsteinwänden durchführt.
Nach etwa sechs Stunden (inklusive Pausen) erreichen wir Hanumil, eine kleine Siedlung von etwa fünf Häusern. Der Zeltplatz liegt sehr schön in einem Weidenhain, falls man noch nicht müde genug ist, bietet sich ein Spaziergang in die eindrückliche Schlucht gleich vor Hanumil an. Am Abend können wir einer diesen wundervollen Sonnenuntergänge bewundern, für die es sich lohnt nach Ladakh zu reisen!


Tag 3: Hanumil - Zinchen - Nyertse (6h)
Die heutige Etappe (T2) geht zuerst weiterhin dem Zanskar entlang. Teilweise ist der Weg eindrücklich nahe am reissenden Fluss, bei Hochwasser kann es hier problematisch werden. Eine erste Bachüberquerung nach etwa einer Stunde erfordert Stöcke, Watschuhe oder eine kurze Kletterpassage (II).
Dann folgt ein kurzer Anstieg zum Parpi-La (3900m), gefolgt von einem steilen Abstieg zur Zinchen-Brücke. Hier lockt ein Tea-Stall mit gekühlter Cola. Ein heisser Aufstieg von etwa 1.5h führt uns schliesslich zum Zeltplatz in Nyertse, in einem schönen Tälchen gelegen. Ein Bergbach lädt zum Bade, und es hat sogar ein paar (eher bescheidene) Boulderblöcke, um sich den Nachmittag um die Ohren zu schlagen.

Tag 4: Nyertse - Hanumi La - Lingshed (7h)
Dieser Tag ist wohl die strengste Etappe des ganzen Treks. Dieses liegt nicht primär an der Höhe des Passes, sondern vielmehr an den vielen Horizontalkilometer, die nach dem Pass noch bewältigt werden müssen, bis man schlussendlich Lingshed erreicht. Der Aufstieg zum Hanumi La spielt sich in einem engen Tälchen ab, es müssen sogar ein paar geröllbedeckte Altschneefelder überquert werden (T3). Für den Aufstieg auf den Pass sind etwa 3.5 Stunden einzuplanen. Hinter dem Pass entdecken wir eine Herde Ibex, einer Art Steinbock. Auf dieser Etappe gilt 'nach dem Pass ist vor dem Pass', nach dem steilen Abstieg folgt nochmals ein Aufstieg auf einen zweiten, niedrigeren Pass (1h). Von hier aus sind es dann nochmals mindestens anderthalb Stunden bis zum Zeltplatz in Lingshed, der unmittelbar neben dem Kloster liegt.

Tag 5: Ruhetag in Lingshed
Da der Ponyman am Morgen ein Pferd vermisst, machen wir heute einen unfreiwilligen Ruhetag, der allerdings recht willkommen ist. Lingshed liegt wunderschön in einer riesigen Felsarena. Die Felswände, welche gleich hinter dem Kloster hunderte Meter in den Himmel streben, bestehen mutmasslich aus rauhem, besten Hochgebirgskalk, hier gäbe es enormes Potential für Klettertouren! Da wir aber kein Klettermaterial dabeihaben, begnüge ich mich mit ein paar Boulder an den zahlreichen Blöcken in der näheren Umgebung, der wasserzerfressene Kalk ist allerdings nicht gerade Balsam für die Hände!
Wie es der Zufall will, ist heute der indische Unabhängigkeitstag, welchen die Menschen mit einem grossen Fest begehen. Den ganzen Tag über findet ein grosser Gottesdienst im Kloster statt, der untermalt ist mit Volkstänzen und Musik. Für die Handvoll Touristen auf dem Campingplatz natürlich ein eindrückliches Spektakel!

Tag 6: Lingshed - Barma La - Sumdo (6h)
Heute verlassen wir die ausgetretene Standard-Trekkingroute, welche weiter nach Photoksar führen würde. Stattdessen wandern wir ostwärts über den Barma La. Der Aufstieg führt über sanftes Weidegelände (T2) und ist zugegebenermassen etwas langweilig. Nach knappen drei Stunden erreichen wir den Pass auf 4800m. Wir besteigen noch einen etwa 100m höheren Aussichtspunkt im Süden des Passes (T4).
Spannender wird es nach dem Pass. Offenbar lassen die Lingsheder ihre Tiere nicht jenseits des Passes weiden (bald wissen wir auch warum). Das bedeutet, dass der Weg deutlich weniger ausgeprägt ist. Wir erreichen eine Art Canyon, der von eindrücklichen Felswänden gesäumt ist. Ein paar Hindernisse können entweder im Bach umgangen oder dann überklettert werden (T3-T4). 
Kurz bevor wir die grosse Schlucht der Oma Chu erreichen, passiert es: Ein Geschrei, und plötzlich springt wenige Meter vor uns ein Bär aus dem Gebüsch! Ein junger Braunbär, der wohl noch mehr erschreckt ist als wir. Was für die Ponymen wohl eher beunruhigend ist, ist für uns ein grossartiges Erlebnis, denn Wildsichtungen von Bären in Indien sind sehr selten. Sumdo ist kein eigentlicher Zeltplatz, sondern einfach ein flaches Plätzchen in der Oma Chu-Schlucht. Ein magischer, extrem abgelegener Ort, und die Möglichkeit, beim nächtlichen Toilettengang einem Bär zu begegnen, sorgt für zusätzliche Hühnerhaut!

Tag 7: Sumdo - Dibling - Pudzong La-Basecamp (8h)
Eine weitere strenge Etappe steht heute an - von der technischen Schwierigkeit her eindeutig der Höhepunkt. Die Schlüsselstelle folgt schon nach wenigen Minuten. Der Weg in der grossen Schlucht wird nur selten begangen und ist entsprechend schlecht gewartet. Bald erreichen wir eine Engstelle, wo die Felswände bis an den Fluss reichen. Hier haben wir zwei Optionen: Zum Einen könnten wir den Fluss queren. Dieser ist allerdings eindrücklich breit, reissend, fast brusttief und natürlich eiskalt. Was für die Pferde kein grösseres Hindernis darstellt, liesse sich für uns nur mit grossem Materialaufwand (Seil, Hüftgurt) und natürlich viel Leidensbereitschaft (Lufttemperatur etwa 10°, Wassertemperatur wohl um die 5°) bewerkstelligen. So schlägt unser Guide vor, die Stelle hoch über den Felsen zum umgehen. Allerdings hat es auch diese Variante in sich. Der Weg hier ist nochmals deutlich schlechter, oftmals gar nicht erkennbar. Das insgesamt sehr exponierte Terrain besteht hier aus einer Art hartem, schiefrigen Geröll, Sichern ist unmöglich und Trittfehler nicht erlaubt. Für diese Passage würde es sich allenfalls lohnen, einen Pickel mit Schaufel dabeizuhaben, um Tritte in den harten Boden zu hacken. Ein Wanderstock kann ebenfalls hilfreich sein. In der Hälfte der Passage muss kurz abgeklettert werden (II), um ein Seitentälchen zu queren. Insgesamt ist diese Passage wohl im Bereich T5+ anzusiedeln.
Nach dieser Gerölltraverse folgt nochmals eine schwere Stelle, wo der Weg in praktisch senkrechte Felsen gebaut wurde, dann aber wieder abgerutscht ist. Infolgedessen muss nochmals steil abgeklettert werden (II). Die Pferde haben es hier deutlich einfacher, sie können im Fluss gehen!
Nach dieser Aufregung wird es jetzt deutlich entspannter. Der Weg folgt jetzt dem hier offeneren, einsamen Flusstal der Oma Chu, teilweise wandern wir durch dichten Weidenwald, und am gegenüberliegenden Flussufer sichten wir sogar nochmals einen Bär! Nach der leichten Flussquerung des Kesi-Baches (Watschuhe empfehlenswert) erreichen wir bald die Blumenwiesen vor Dibling (5h) und wenig später auch dieses extrem abgelegene Dörfchen. Aber noch sind wir nicht am Ziel: Weiter geht es auf gutem Wanderweg nach Debring, über uns kreist ein Bartgeier. Hinter Debring steigt der Weg nochmals an, bevor wir das Pudzong La-Basislager erreichen. Der Zeltplatz ist dieses Mal nicht ganz so schön gelegen, es ist eine Art geröllige Kuhweide, flache und nicht-verschissene Plätze sind rar.

Tag 8: Pudzong La-BC - Pudzong La - Kanji La-BC Süd (6h)
Im Gegensatz zur gestrigen Etappe geht es heute am Pudzong La wieder einfacher zugange. Dieser Weg wird schliesslich regelmässig von den Locals begangen und ist für diese die kürzeste und einfachste Verbindung zur Strasse (wobei 'kurz' hier immer noch einen heftigen Zweitagesmarsch bedeutet). Der Weg steigt bald nach dem Abmarsch recht steil an und führt gut trassiert durch eine gerölliges Tal (T2). Da wir mittlerweile gut akklimatisiert sind, bereiten uns die gut 900hm zum 5020m hohen Pass keine grösseren Probleme. Zu erwähnen ist noch, dass der Pass leider umgeben ist von höheren Bergen, die Aussicht ist somit stark limitiert, und es gibt auch keine einfach Möglichkeit, einen Aussichtsgipfel in Passnähe zu besteigen.
Somit machen wir uns bald an den Abstieg, welcher durch ein ebenfalls gerölliges Tal über mehrere geröllbedeckte Altschneefelder führt (T3). Weiter unten erreichen wir wieder sanfteres Gelände. Die Wiesen hier sind nicht beweidet, es hat infolgedessen eine prächtige Himalayaflora. Der Grund dafür erkennen wir übrigens auf dem Wege: Wolfsspuren!
Der Zeltplatz liegt nicht im Kanji La-Tal, sondern zwei Kilometer weiter talaufwärts am Zusammenfluss des Kanji La Togpo und dem namenlosen Fluss, welcher vom Lima Lursa La herunterkommt. Um den Zeltplatz zu erreichen, ist eine nicht ganz triviale Flussquerung notwendig (Stöcke und Watschuhe notwendig).
Der Zeltplatz liegt wunderschön, für Fels-Aficinados hat es unweit des Zeltplatzes ein langes Felsbändchen, welches eine tolle, südexponierte und etwa 50m lange Bouldertraverse mit gutem Absprunggelände bietet. Am Abend wird Action geboten: Wir beobachten die Pferde, welche an einem steilen Hang oberhalb des Zeltplatzes weiden. Plötzlich rennen die Pferde seltsamerweise den Hang hoch. Mit dem Feldstecher erkennen wir den Grund: Am unteren Rand der Weide stehen zwei Wölfe! Riesenaufregung bei den Ponymen. Diese entschliessen sich, die Nacht bei den Pferden zu verbringen. Grosse Feuer sollen die Wölfe vertreiben. 

Tag 9: Kanji La - Kanji La-Basecamp Nord (7h)
Nochmals ein strenger Tag heute. Der Aufstieg zum Kanji La ist grundsätzlich problemlos, aber psychisch anstrengend. Der Pass ist schon von weit unten sichtbar, die Geröllhalden endlos lang und im losen Geröll mühsam zu gehen (T3). Zudem ist die Luft auf über 5200m dünn! Bei einer Bachüberquerung rutsche ich zudem auf den vereisten Steinen unglücklich auf und schürfe mir die Hand auf. Der Aufstieg auf den Pass dauert etwa 4h.
Auf dem Pass oben wird man allerdings für die Mühen entschädigt, es eröffnet sich eine prächtige Aussicht. Im Norden erkennt man am Horizont die hohen Berge des Karakorums, das Gasherbrum-Massiv, vielleicht sogar den K2. Nach Süden blickt man in die stark vergletscherte Kette des Great Himalaya mit unzähligen unbestiegenen 6000er.
Wenn man noch etwas Energie hat, könnte man einen etwa 5500m hohen Aussichtsberg im Osten des Passes besteigen, wo man wohl nochmals eine bessere Aussicht hätte.
Hinter dem Pass führt der Weg steil durch Geröll hinunter auf den Gletscher. Der Gletscher selber ist grundsätzlich harmlos, das blanke Eis mit guten Schuhen problemlos zu gehen (T4). Für die Pferde ist diese Passage übrigens deutlich heikler, die Ponymen umgehen den Gletscher in einer Geröllflanke. Der Zeltplatz liegt nochmals zwei Stunden weiter, in einem Seitental des Kanji La Flusses.

Tag 10: Kanji La BC - Kanji (5h)
Im Vergleich zu den gestrigen Strapazen ist die heutige Etappe deutlich gemässigter, dafür landschaftlich nochmals ein Highlight. Der Weg führt durch eine eindrückliche Schluchtenlandschaft, im schlammigen Boden lassen sich eine Vielzahl an Tierspuren erkennen, unter anderem Schneeleoparden-Spuren! Es grenzt an eine Sensation, überhaupt eine Schneeleoparden-Fährte zu sichten, die extrem seltenen Tiere selber zu sehen ist im Sommer aber praktisch unmöglich. Das Gelände ist oftmals weglos (T4), es sind mehrere Flussüberquerungen notwendig, die aber mit der entsprechenden Ausrüstung problemlos sind. Da Lobsang, unser Guide, offenbar nasse Füsse vermeiden will, zieht er es vor etwas wacklig dem steilen Flussufer zu folgen.
Später verbreitert sich das Tal, ein genüssliches Wandern in einer prächtigen, wilden Natur.
Nach etwa fünf Stunden erreichen wir das Örtchen Kanji. Der ursprüngliche Plan war, von hier aus in vier weiteren Trekkingtagen via Yogma La und Niurtse La nach Phanilla zu wandern. Da wir aber von den anstrengenden Etappen gezeichnet sind und bereits so viele Höhepunkte erlebt haben, beschliessen wir hier den Abbruch des Treks. Nach Kanji führt eine Strasse, somit lassen wir uns am nächsten Tag von einem Taxi abholen. Ein grossartiger Trek geht zu Ende!

Facts:
Zanskar Trek von Padum via Lingshed und Dibling nach Kanji, T5+ (10 Tage)

Ein einsamer Trek mit grossartigen Landschaften. Für mich der beste Trek, den ich bis jetzt gemacht habe. Recht strenge, lange Tagesetappen, der Ruhetag in Lingshed ist sicher gut investierte Zeit.

Material: Wir haben zwei paar Schuhe dabeigehabt, leichte Trekkingschuhe für die ersten vier Tage, dann hohe, stabile Bergschuhe für den zweiten Teil des Treks. Für die Flussüberquerungen sind Watschuhe und Stöcke sehr empfehlenswert. Für die Schlüsseletappe kann zumindest ein Pickel pro Gruppe gute Dienste leisten. Wenn man sich den T5+ nicht zutraut, ist eine sehr schwierige, heikle Flussüberquerung notwendig, die neben der entsprechenden Erfahrung auch Seil und Sicherungsmaterial erfordert. Eine Umgehung dieser Passage ist nicht möglich. Es kann allerdings sein, dass dieser Wegabschnitt dereinst ausgebaut wird und dann wieder deutlich einfacher zu begehen ist (am besten bei der Agentur nachfragen). Wenn man über den Kesi La anstatt über den Barma La geht, vermeidet man die Schlucht. Hingegen sei der Pass laut den Locals schwieriger zu begehen. 
Von der Jahreszeit her bieten sich die Monate Juli bis Oktober am ehesten an. Im Juli können allerdings die Flüsse noch deutlich mehr Wasser haben. Wobei, dies ist wohl hauptsächlich in der Oma Chu Schlucht ein Problem, der Kanji-Bach wird wohl auch bei Schneeschmelze nie wirklich problematisch sein. Temperaturmässig haben wir die ganze Bandbreite erlebt, von tagsüber etwa 30° bei trockener Luft bis zu frostigen -2° in der Nacht beim Kanji La Basecamp Süd. Insofern ist eine dicke Daunenjacke und ein warmer Schlafsack kein Luxus. Die Orientierung ist grundsätzlich problemlos, es empfiehlt sich die guten Karten von Olizane dabeizuhaben (in Leh ausverkauft!).
Wir haben auf dem Trek selber gekocht und ein Guide und ein Ponyman mit fünf Pferden dabeigehabt. Das Problem ist, dass der Ponyman unter Umständen in den schwierigen Etappen alleine überfordert sein kann. Dies unbedingt vorgängig mit der Agentur besprechen, allenfalls lohnt es sich in einen Hilfs-Ponyman zu investieren. Der Trek sollte unbedingt frühzeitig via eine lokale Agentur organisiert werden, es ist nicht einfach, motivierte Führer und Ponymen für dieses Unternehmen zu finden!




Samstag, 1. August 2015

Pilier au soleil levant

Der 'Pfeiler der aufgehenden Sonne', so die deutsche Übersetzung, befindet sich auf der Südseite des Mont Collon bei Arolla. Obschon der Mont Collon kein sehr bekannter Berg ist, hat doch die Route einen gewissen Nimbus. Dies alleine schon wegen der klettertechnischen Schwierigkeit vom fünften Grad, aber auch wegen der durchaus beeindruckenden Höhe des Pfeilers und der Tatsache, dass die Route komplett selber abgesichert werden muss. Die Täler im Zentralwallis bekommen zudem relativ wenig Niederschlag, deshalb sind die Gletscher und auch die Bergschründe hier deutlich kleiner als in Chamonix - auch dies ein gutes Argument, in diesem Hitzesommer für einmal mit Sophie eine hochalpine Klettertour in diesem Gebiet zu wagen. Der Aufstieg ins Refuge Bouquetins ist grösstenteils flach, führt aber durch eine schöne, wilde, aber ziemlich schuttreiche Hochgebirgslandschaft. Der Anblick der ausgeaperten Nordflanke des Mont Brule ist kein schöner Anblick! Das Biwak selber ist zweckmässig eingerichtet, mit einem Holzofen, Pfannen und Geschirr. Wir haben dennoch den Gaskocher dabei.
Am nächsten Morgen geht es um vier Uhr los, um halb sechs, im ersten Tageslicht, erreichen wir den Einstieg. Es lohnt sich unbedingt, sich bereits am Vortag beim Zustieg zum Biwak ein genaues Bild der komplexen, zergliederten SE-Wand des Mont Collon zu machen. Der Pfeiler und der Einstieg lässt sich aus der Ferne problemlos identifizieren, steht man dann am Morgen unter der Wand, ist die Orientierung praktisch unmöglich! Zudem sieht man kaum Spuren, die wenigen Steinmännchen sind halb zerfallen und kaum mehr von natürlichen Steinhaufen zu unterscheiden. 
Über eine Geröllhalde und leichte Platten (II) erreichen wir, etwas nach links ausholend, ein kleines Bändchen etwas links der Achse des Pfeilers. Hier beginnt die Kletterei. Zu Beginn ist diese noch sehr leicht, so im zweiten und knappen dritten Grad. 
Wir gehen parallel und kommen so innerhalb von einer knappen halben Stunde bereits zur nominellen Schlüssellänge der Tour, der 5a-Verschneidung. Ein gebohrter Stand (die einzige fixe Absicherung der ganzen Tour) markiert den Beginn dieser Länge. Die Fünfer-Stelle besteht aus einer kurzen, senkrechten Riss-Verschneidung, die sehr gut mit Cams absicherbar ist. 
Mittlerweile erreicht uns die Sonne ('le soleil levant...') und die vormals kalte Kletterei wird zum Hochgenuss!
Die Kletterei ist hier wieder sehr einfach, wir gehen wiederum parallel und machen schnell Höhe. Bald erreichen wir den dritten Turm, den wir rechts anstatt wie im Topo angegeben links umgehen. Der Fels ist zwar nicht überall bombenfest, aber doch meistens gut und griffig. Hier im Bild erkennt man rechts die imposante Gipfelbastion, die uns später noch etwas Kopfzerbrechen machen wird.
Wir erreichen jetzt den im Führer 'markanten Turm' genannten Gendarmen. Er wird in einer wirklich grossartigen und mit den Bergschuhen gar nicht so einfachen Seillänge erklettert. Zu Beginn eine recht knifflige Platte ohne Absicherungsmöglichkeit, gefolgt von einem etwa 8m langen Quergang nach links (hier ist das Topo aus dem keepwild wirklich hilfreich). 
Es folgt ein diagonal nach rechts oben verlaufender Riss, der +- ordentlich absicherbar ist und nochmals mit kräftiger Gegendruck-Kletterei aufwartet. Insgesamt ist diese rund 40m lange Seillänge deutlich wilder als die Rissverschneidung unten. 
Eine leichter Quergang führt uns zur aus imposanten, ausserordentlich steilen Gipfelbastion. Und hier wird auch die Orientierung deutlich komplexer. Das Topo ist hier leider auch fehlerhaft, insbesondere die Längenangaben der Seillängen. Ich klettere ein Kamin auf der linken Seite etwa 10m hoch und traversiere dann auf einem Band etwa 15m nach rechts zu einem Podest aus abgespaltenen Schuppen. Hier meint das Topo, man müsse jetzt nochmals 40m nach rechts queren. Dies ist auch was wir machen - obschon ich im Nachhinein sicher bin, dass man vom Podest problemlos hätte gerade hochklettern können (auf camptocamp ist nochmals eine andere Variante beschrieben). 
Jedenfalls queren wir jetzt auf einem grünlichen Band nochmals etwa 30m nach rechts (4. Grad), um ein Kaminsystem zu erreichen. Dieses hoch (4er). Jetzt stellen wir fest, dass wir mitten in der steilen Südwand stehen, und nicht mehr auf dem Pfeiler. Sophie klettert eine Rampe nach links, danach in bestem Fels direkt hoch (oberer 4. Grad).
Die nächste Seillänge führt über ein Bändchen nach links. Hier erreichen wir wieder die Route, an zwei Schlaghaken ersichtlich. Es geht nochmals steil und griffig hoch (oberer 4er), bevor sich der Pfeiler zurücklegt. 
Über einfaches Gehgelände (II) erreichen wir innert wenigen Minuten den Gipfel des Mont Collons. Insgesamt hat uns die Kletterei etwas über fünf Stunden gekostet, ohne den Abstecher in die Südwand wären es vielleicht noch etwas weniger gewesen. 
Der Abstieg über die Westwand ist einfach, aber etwas mühsam. Oben seilt man etwa vier mal 20-25m ab, gefolgt von mühsamem Abklettern in brüchigem Zweiergelände. Nach etwas über zwei Stunden erreichen wir den Gletscher. Dieser wartet mit ebenfalls mühsam zu begehenden Büsserschnee auf, so dass der Hatscher zur Vignettes-Hütte etwas länger dauert als vorausgesagt. Es folgt noch ein relativ kurzer Abstieg nach Arolla, wo wir pünktlich aufs letzte Posti ankommen. 

Facts:
Mont Collon, "Voie du soleil levant", III, SS, 5b, 570m Kletterstrecke

Material: Set Cams 0.5-2, Klemmkeile, Zackenschlingen, Pickel und Steigeisen. Wir haben ein 40m Einfachseil dabeigehabt, was auch für den Abstieg problemlos gereicht hat. 

Eine sehr schöne, lohnende und eindrückliche Fels-Hochtour. Aufgrund der Steilheit und schwieriger Orientierung im oberen Teil ist eine gewisse Ernsthaftigkeit nicht von der Hand zu weisen. Im Vergleich zu einer Chamonix-Klettertour ist SS vielleicht etwas hoch gegriffen, aber die Kletterei ist deutlicher anspruchsvoller als am Lauteraargrat von drei Wochen.

Montag, 27. Juli 2015

Granitgrate a discretion

Neben dem Ryan- und dem Lauteraargrat habe ich in diesem Juli noch zwei weitere coole Granittouren gemacht, nämlich den Salbit Westgrat und die Traverse der Aiguilles Dorées, die ich mangels Zeit aber nicht in einem eigenen Blogeintrag detailliert beschrieben habe. Ich möchte hier aber dennoch ein paar Fotos und etwas Text zu beiden wirklich sehr schönen Unternehmungen anfügen. 

Zum Einen war da der Salbit Westgrat zusammen mit Corina. Vorgestellt werden muss die Tour wohl kaum, es ist die längste Granitklettertour der Schweiz und wohl eine der längsten Klettertouren der Alpen überhaupt. Für mich ist es das zweite Mal, dass ich diese wunderbare Tour klettern darf, und natürlich eine besondere Freude, diese Tour zusammen mit Corina angehen zu können. 
Wir übernachteten an diesem 10. Juli im Salbitbiwak, welches ziemlich voll war. Am Samstag dann ein sehr früher Start mit der Stirnlampe. Wir hatten keine Lust auf Überholmanöver, wenn wir die Ersten am Grat sind, dann können wir die ganz schnellen Seilschaften immer noch überholen lassen, ohne selber lange Wartezeiten riskieren zu müssen. Hier Corina in der sehr schönen Granitkletterei am zweiten Turm:
Der Grat ist ein stetiges Auf- und Ab, die Kletterei durchgehend von bester Qualität. Wir lassen eine italienische Führerseilschaft überholen, wirklich abhängen tun sie uns allerdings nicht. Wir sind ein eingespieltes Team und verlieren nicht viel Zeit mit den diversen Abseilmanövern.
Zu erwähnen bleibt noch ein bizarrer Vorfall: Wir haben den Turm zwei etwa um 9 Uhr erreicht. Danach hatte ich eine Weile lange nicht mehr auf meine Uhr geblickt. Als ich vor dem Turm vier wieder die Zeit checkte, zeigte die Uhr bereits 13:30 an. Irgendwie dünkte mich dies seltsam, denn die Kletterei am Turm drei dünkte mich jetzt nicht so kompliziert und zeitraubend, aber ok, es kann passieren dass man die Zeit völlig vergisst. Jedenfalls spulten wir den Turm vier (der mit der vielleicht besten Kletterei der ganzen Tour aufwartet) und fünf (die moralische Schlüsselstelle mit dem neuerdings ausgenagelten 15m-Quergang) in ordentlicher Zeit ab. Nochmals etwas Nerven sind im Pendelquergang am Hauptgipfel erforderlich:
Als letzte Prüfung kommt noch die gewaltige Seillänge über eine riesige Schuppe, welche im ersten Teil mit anstrengender A0-Kletterei und oben mit einer genialen Piazschuppe aufwartet.
Das Top erreichen wir (vermeintlich, siehe unten!) um 17:30, nach (vermeintlich) 13 Stunden. Wir machen uns zügig an den Abstieg, um in Göschenen noch eine Portion Pasta zu erhaschen, bevor wir den letzten Zug um 22 Uhr nehmen. Ausgehungert treffen wir nach fast vier Stunden Abstieg in Göschenen ein, wo Corina kurz den Fahrplan checkt - und feststellt, dass es gar nicht neun Uhr, sondern erst sieben Uhr ist! Das bedeutet nichts anderes, als dass sich meine Uhr irgendwo am Turm drei um zwei Stunden verstellt hat! Wir haben also doch nur elf Stunden für den Grat gebraucht. Tja, die zwei gewonnenen Stunden investierten wir dann in ein richtig feines Znacht in der Beiz, um diese tolle Tour gebührend zu feiern.

Facts:
Salbit, Westgrat, 6a A0, 36 SL

Material: Doppelseile 50m, Set Cams 0.5-3, Zackenschlingen (Keile kaum nötig). Steigeisen nicht nötig, gute Schuhe für den Abstieg aber empfehlenswert.

Die längste und in vielerlei Hinsicht auch beste Granittour der Schweiz wartet mit abwechslungsreicher Riss-, Piaz- und Kaminkletterei auf, und ist ein Muss für alpin orientierte Kletterer. 



Zum Anderen war da die Traverse der Aiguilles Dorées vergangene Woche mit Thomas. Das Wetter hat jetzt, gegen Ende Juli, eher auf die mühsame Seite gewechselt, mit schwer zu prognostizierender Gewitteraktivität. Deshalb war eine Tour gefragt, welche eine rollende Tourenplanung ermöglicht, jeweils angepasst an die Wetterentwicklung und die subjektive Tagesform. Die Überschreitung der Aiguilles Dorées in Kombination mit dem Aiguilles Sans Nom Südgrat war da die ideale Tour, da sie zumindest bis in die Hälfte der Tour gute Rückzugsmöglichkeiten bietet. Der Südgrat verspricht eine schöne Klettertour im Schwierigkeitsgrad 5c und globaler Schwierigkeit S+. Also zumindest auf dem Papier ein anspruchsvolles Ziel. 
Hier die schöne Abendstimmung von der Trient-Hütte aus.
Am nächsten Morgen starten wir um viertel vor fünf zur Aiguille Sans Nom. Dazu steigen wir am östlichen Ausläufer der Aiguilles Dorées vorbei, um über Firnhänge den Südgrat der Aiguille Sans Nom zu erreichen. Insgesamt sind etwa anderthalb Stunden Zustiegszeit einzuplanen.
Eine andere Seilschaft steigt vor uns in ein auf der westlichen Seite des Grates gelegenes Couloir ein. Uns dünkt aber der Direkteinstieg über einen roten Pfeiler irgendwie lohnender, schliesslich sind wir zum Klettern hier. Und tatsächlich, wir werden mit hübscher Kletterei im oberen vierten Grad belohnt. Allerdings wird schon hier klar, dass die Kletterei im Vergleich zu anderen Chamonix-Touren wie dem Ryan oder dem Moine Südgrat deutlich weniger zwingend ist. Dies verdeutlicht sich noch im oberen Teil des Grates. Hier klettern wir alles parallel, die Schwierigkeiten bewegen sich meist im 3. Grad und übersteigt nirgends den unteren fünften Grad. Abgesichert wird an Cams, Zackenschlingen und an einigen Bolts, die hie und da stecken. Als wir nach nur zwei Stunden Kletterzeit um halb neun die Aiguille Sans Nom erreichen, macht sich neben dem üblichen Gipfel-Hochgefühls auch eine leichte Enttäuschung breit - die versprochene anspruchsvolle Granitkrampferei im Grad 5c war irgendwie ausgeblieben. 
Nun ja, was zu tun mit dem angebrochenen Tag? Der Himmel ist noch praktisch wolkenlos und die Lust auf mehr Abenteuer noch ungebrochen. Deshalb fällt uns der Entschluss leicht: Wir hängen gleich noch die Traverse ran! 
In wenigen Minuten erreichen wir über leichten Fels (II) und zuletzt einen coolen Riss (III) den Gipfel der Tete Biselx. Hinten in etwas brüchigem Fels abklettern, eine andere Seilschaft überholen, 1x25m auf die Südseite abseilen und den nächsten Turm über ein Schuttband umgehen. Ein plattiges Grätchen abklettern, um die Bréche des Aiguilles Penchées zu erreichen. Diese werden in einer coolen Seillänge (III+) auf der Nordseite bestiegen. 
Danach wieder abklettern, die Gendarmen jeweils auf der Nordseite umgehen (wir umgehen den Gendarmen vor der Varappe auf der Südseite, was eine recht exponierten Traverse beschert). Weiter geht es über den hier sehr schönen, leichten Kraxelgrat und ein Schuttband auf der Südseite in die Scharte zwischen den beiden Varappe-Gipfeln.
Wir befinden uns jetzt in der eindrücklichen Granitblock-Landschaft zwischen den Varappe-Gipfeln. Eine weitere Seillänge führt über leichtes Gelände auf den Westgipfel der Aiguille Varappe.
Die Uhr zeigt halb zwölf, wir haben für die Traverse bis hierher also gute zweieinhalb Stunden gebraucht. Als nächstes müssen wir die Abseilpiste, die der Hüttenwart der Trient-Hütte eingerichtet hat, lokalisieren. Sie befindet sich am westlichsten Ausläufer des W-Grates der Varappe, unmittelbar bei der Abbruchkante. Von hier seilen wir 2x45m auf ein horizontales Gratstück ab. Dieses nach vorne klettern, dann nochmals 2x45m bis in den Schneesattel abseilen. Von hier sind es dann nochmals 2x45m bis über den Bergschrund. Insgesamt ein problemloser, effizienter Abstieg, der auch kaum mehr als eine knappe Stunde in Anspruch nimmt. Die Wanderung zurück zur Sesselbahn braucht dann knappe drei Stunden. Erstaunlich übrigens, wie schnell sich das Wetter dann änderte: Bis zur Orny-Hütte noch praktisch keine Wolken, dann aber innert wenigen Minuten riesige Quellwolken. Die ersten Tropfen erwischen uns dann prompt noch auf dem Sessellift...

Facts:
Aiguilles Dorées, Aiguille Sans Nom Südgrat und Traverse nach Westen, ZS+, 5a

Material: Reduziertes Set Friends, Zackenschlingen, Doppelseil für den Abstieg. Für die Traverse selber wäre wohl ein Einfachseil bequemer. Wir haben Kletterfinken am Aig. Sans Nom Südgrat angehabt, wäre aber im Nachhinein nicht nötig gewesen.

Schöne Hochtour in meist gutem Fels. Insgesamt deutlich weniger anspruchsvoll als die bekannten Granitklassiker Grépon Mer de Glace oder Ryan-Grat. Trotzdem ist effizientes Seilhandling und sicheres Gehen im mittelschwerem Gelände essentiell, um nicht viel Zeit zu verlieren. Die Kombination mit dem Aiguille Sans Nom Südgrat verlängert die Kletterei, vermeidet allerdings die schwierigste SL der Gesamtüberschreitung. Deshalb insgesamt wohl ein Tick leichter.

Mittwoch, 15. Juli 2015

Inverser Lauteraargrat

Zum zweiten Mal im Juli steht eine Tour mit Thomas an - ich habe mir einen guten Monat für meinen unbezahlten Urlaub ausgesucht! Dieses Mal soll es ausnahmsweise mal nicht nach Chamonix gehen, sondern ins Berner Oberland. Dort lockt "eine der schönsten Grattouren der Berner Alpen" (O-Ton SAC Führer), und zwar die berühmte Schreckhorn-Lauteraarhorn Überschreitung. Und da ich noch nie auf dem Lauteraarhorn stand, bietet es sich an, diese Tour mal auf die alpine Tick-List zu setzen. 
Etwas zu reden gab der genaue Ablauf dieser Tour. Üblicherweise wird die Überschreitung nämlich vom Schreckhorn in Richtung Lauteraarhorn gemacht. Allerdings hat dies den gewichtigen Nachteil, dass man vom Lauteraarhorn entweder einen heiklen Firnabstieg in der Mittagshitze machen muss, oder alternativ weitere lange Stunden im berüchtigten 'Schraubengang' abklettern muss. Beide Optionen dünken uns wenig anmächelig. Viel praktischer scheint uns, am frühen Morgen den Gipfel des Lauteraarhorns via das Südcouloir zu besteigen, und dann zum Schreckhorn rüberzuqueren. Der Abstieg vom Schreckhorn über die SW-Rippe kennen wir beide schon von früheren Touren und kann auch nachmittags ohne grössere Risiken bequem mit Abseilen gemacht werden. 

So beginnt die Tour am Montagmorgen auf dem Grimselpass. Ein langer Hüttenanstieg mit viel Horizontaldistanz führt uns durch eine ursprüngliche, wilde Landschaft ins Aarbiwak.
Die ausgeaperten Wände und schmelzenden Firnfelder bieten leider keinen besonders schönen Anblick - Kehrseite des Hitzesommers. Im Biwak selber ist von der Hitze allerdings wenig zu spüren, es weht ein kalter Wind, die Sonne versteckt sich hinter Wolken. Das alkoholfreie Bier (richtig gelesen, hat nur alkoholfreie Getränke im Biwak zu kaufen, 'richtiges' Bier muss man selber hochtragen) geniessen wir frierend auf dem Sonnenbänkli. 
Am nächsten Morgen starten wir sehr früh, um zwei Uhr, zum Lauteraarhorn. Ziel ist, den Gipfel kurz nach Sonnenaufgang zu erreichen. Kurzer Stimmungseinbruch, als ich feststelle, dass der Akku meiner Taschenlampe leer ist. So bin ich gezwungen, immer direkt neben Thomas zu gehen, um wenigstens ein bisschen von seiner Lampe profitieren zu können. 
Der unterste Teil des Südcouloirs gestaltet sich in ätzendem, rutschigen Geröll. Nervig, vor allem ohne Licht. Die Wegfindung ist zwar nicht ganz einfach, das Gelände aber überall recht leicht. Etwas weiter oben erreichen wir ein tief eingeschnittenes Couloir mit einer schmalen Schneezunge. Hier können wir endlich die Steigeisen anziehen. Der Firn ist gut durchgefroren und wir kommen effizient voran.
Pünktlich auf den Sonnenaufgang erreichen wir den Firnsattel kurz unter dem Gipfel des Lauteraarhorns. Ein magischer Moment!
Sonnenaufgang über dem Finsteraarhorn und dem Studerhorn mit seiner schönen, selten begangen Nordwand.
Thomas attackiert den kurzen, leichten SE-Grat aufs Lauteraarhorn. Im untersten Teil noch ohne Seil, später dann wechseln wir auf Seilsicherung.
Um 6:30, gute vier Stunden nachdem wir losgelaufen sind, erreichen wir den Gipfel des Lauteraarhorns. Von hier aus bietet sich ein schöner Blick auf den sehr, sehr langen Verbindungsgrat zum Schreckhorn. Was erwartet uns wohl hier?
Es erwarten uns dutzende von Türmchen, die in anregender, aber (leider) nie schwieriger Kletterei überwunden werden. Da wir die Tour in der S-N Richtung unternehmen, klettern wir jeweils über die plattigen, sonnigen Südseiten hoch. Der Abstieg über die steilere N-Seiten geschieht teilweise abkletternd, teilweise an improvisierten Ständen abseilend. 
Hier eine der typischen Kletterstellen - plattiger, aber gutmütiger Fels, der den dritten Grad kaum übersteigt. Kein Vergleich zum Chamonix-Granit mit seinen harten Rissen!
Im Voraus hatte ich erwartet, dass es mehr kombinierte Kletterei hat. Dem ist nicht so, man klettert eigentlich praktisch immer im Fels, Firnkontakte sind auf zwei, drei Stellen beschränkt. Dies dünkt mich irgendwie schade - ich denke auch, dass die Tour wohl Anfangs Saison, mit mehr Schnee am Grat, einen völlig anderen und sicherlich interessanteren Charakter bekäme. 
Nach etlichen Stunden Kraxeln erreichen wir den Schrecksattel. Wir sind jetzt auf dem alten Normalweg aufs Schreckhorn, deutlich zu erkennen an den leicht abgegriffenen Felsen am S-Grat. Absurderweise erwartet uns hier die bei weitem interessanteste und schwierigste Kletterei der ganzen Tour. Wir halten uns (wahrscheinlich fälschlicherweise) direkt an der Gratkante und werden mit exponierter Kletterei in bestem Gneis belohnt, der tatsächlich den vierten Grad streift. 
Der Südgrat aufs Schreckhorn nimmt nochmals eine gute Stunde in Anspruch, und nach etwas über fünf Stunden erreichen wir um 12 Uhr den Gipfel des Schreckhorns. Die meisten Seilschaften, die über den Normalweg gekommen sind, sind bereits abgestiegen. 
Der Abstieg gestaltet sich jetzt wie geplant problemlos. Man lässt einander einfach gegenseitig ab (mit einem 40m-Einfachseil geht dies meistens, aber nicht ganz überall!) und erreicht so problemlos den Bergschrund. Vom Gletscher aus zeigt sich die Überschreitung nochmals in ihrer ganzen Pracht.
Nach etwa viereinhalb Stunden erreichen wir die Schreckhornhütte, eine willkommene Gelegenheit die Speicher wieder aufzufüllen. Dranbleiben und Beissen ist dann das Motto des langen Hüttenweges nach Grindelwald, wo wir um halb 9 eintreffen. Ein langer Tag geht zu Ende!

Facts:
Schreckhorn, Lauteraargrat, S+, 4

Material: Genug Zackenschlingen, vielleicht zwei bis drei mittlere Friends. 

Eine lange Grattour ohne grosse technischen Schwierigkeiten, aber mit schlechten Rückzugsmöglichkeiten. Definitiv keine Tour bei gewitterhaftem Wetter! Vielleicht ist es wirklich eine der schönsten Touren im Berner Oberland - allerdings sind alle meine bisher in Chamonix gemachten Grattouren um ein Vielfaches interessanter! Die Schwierigkeitsangabe S+ ist aus dem SAC Führer übernommen, die Tour ist deutlich einfacher als ein S+ in Chamonix!
Unternimmt man die Überschreitung vom Lauteraarhorn zum Schreckhorn (S-N), hat dies den Vorteil, dass man den Gipfel des Lauteraarhorns am frühen Morgen erreicht und danach einen relativ unkomplizierten Abstieg vom Schreckhorn hat. Es kann sein, dass die Kletterei in der entgegengesetzten Richtung (N-S) etwas schwieriger ist, was je nach Optik ein Vor- oder Nachteil sein kann. 

Freitag, 3. Juli 2015

Zweimal Granitklassiker in Chamonix

Granitklassiker in Chamonix - ein Synonym nicht nur für besten Fels und wunderschönes hochalpines Ambiente, sondern auch für hart bewertete Riss-Schrubberei und traditionelle Absicherung. Jede Tour ist ein kleines Abenteuer, und zwar nicht im negativen Sinne! 

Der Auftakt ist der Nordnordost-Grat an der Aiguille de l'M - wie der Name schon andeutet, ist dies der von Chamonix aus gut sichtbare, M-förmige niedrigste und nördlichste Gipfel der Aiguilles de Chamonix. Der NNE-Grat ist eine zwar kurze, aber durchaus interessante Klettertour, die mit ein paar deftigen Offwidth-Passagen aufwarten kann. Der Zustieg von der Plan d'Aiguille zieht sich ziemlich, wir erwischen auch nicht den optimalsten Weg und brauchen so über zwei Stunden bis an den Einstieg. Dieser ist einfach zu finden und befindet sich am unteren Ende eines kleinen Firncouloirs. Die erste SL wartet auch gleich schon mit einer kniffligen Stelle auf, ein etwas abgelutschter Fingerriss, der aber gut mit kleinen Cams abgesichert werden kann. Corina geniesst die schöne Risskletterei.
Die zweite SL beginnt leicht, führt über einen kurzen, mit Nh gut abgesicherten Aufschwung, und endet auf einer grossen Terrasse. Jetzt folgt die Schlüssel-Länge, die von unten deutlich einfach ausschaut als sie ist! Eine Riss-Verschneidung, recht stumpf und glatt. Ich klettere das Ding, indem ich mein ganzes Bein im Riss verkeile und mich so, die Reibung zwischen Hose und Fels ausnutzend, hocharbeite. 
Die nächste Seillänge beginnt nochmals mit einem Riss, der allerdings etwas zugänglicher und gut mit einem 3er Cam absicherbar ist. Es folgen dann nochmals zwei etwas leichtere Längen, bevor wir den Gipfel der Aiguille de l'M erreichen. 
Der Abstieg gestaltet sich unkompliziert, mit zweimaligem Abseilen über die Südseite erreicht man den Col de Buche, von diesem führt ein gutes Weglein über einige Leitern auf den Glacier des Nantillons.

Facts:
Aiguille de l'M, NNE-Grat, S-, 4+ (cotation chamoniard, gefühlt etwa 6a).

Material: Set Cams 0.75 - 3, je nach Schneelage Steigeisen und Pickel für den Abstieg.

Kurzer, aber lohnender Klassiker abseits des Rummels. Die Offwidth-Risse sind recht knifflig und zudem etwas abgegriffen. 


Nur zwei Tage später geht es bereits wieder nach Chamonix - dieses Mal zusammen mit Thomas. Auf dem Menü steht der Ryan-Grat an der Aiguille de Plan. Diese Tour, bereits 1906 in 12 Stunden in einem Zuge von Montenvers aus erstbegangen, gilt als eine der schönsten Granitklettertouren mittleren Schwierigkeitsgrades. Heutzutage wird sie (zu Unrecht!) eher selten begangen. Nach der Tour steigt man typischerweise über den Midi-Plan-Grat zur Aiguille du Midi auf, somit ist klar dass das vollständige Hochtourenzeugs in den Rucksack muss.
Die Tour beginnt mit einem nachmittäglichen Hüttenaufstieg, dadurch steigt man im Bergschatten auf, was gerade bei den aktuellen Temperaturen ein grosser Vorteil ist. Nach einer ruhigen Nacht geht es schon sehr früh, um 3 Uhr, los. Es ist warm, eigentlich viel zu warm. Der Schnee ist überhaupt nicht gefroren, aber gut gesetzt, somit geht es sich recht angenehm. Nach knappen anderthalb Stunden steilt sich der Gletscher auf, wir erreichen die berüchtigten Bergschründe. Und ja, die haben es wirklich in sich! Ein erster Schrund lässt sich noch problemlos passieren, erfordert aber eine kurze Traverse in etwa 70° steilem Eis. Wirklich wild ist dann der zweite Schrund: Ein gigantisches, etwa 20m hohes, überhängendes und teilweise zusammengefallenes System von Eisblöcken. Auf der rechten Seite, unmittelbar bei den Felsen, steigen wir in den Höllenschlund ab, klettern über eine Art Schneebrücke, um dann ein Band auf den Randfelsen zu erreichen.
Wir klettern jetzt etwa 10m über leichten Fels hoch, um dann das obere Ende des Schrundes zu erreichen. Jetzt ist der Weg zum Ryan-Grat frei. Früher konnte man den Einstieg erreichen, indem man den ersten Sporn links umging. Dies ist heute aber meist nicht möglich, der zweite Bergschrund ist viel zu gross. Deshalb beginnt die Felskletterei für uns bereits am ersten Sporn. Wobei Felskletterei etwas untertrieben ist: Der einfachste Weg dünkt uns ein Verschneidungssystem auf der rechten Seite unmittelbar links des rechten Bergschrundes. Die Verschneidung ist teilweise mit Eis gefüllt, zuoberst blockiert eine Schneelippe den Ausstieg. Eine eigentlich recht interessante Mixed-Kletterei im Bereich M4, allerdings habe ich blöderweise die Handschuhe abgezogen, was mir einen deftigen Kuhnagel beschert (deshalb das verwackelte Föteli).
Rückblickend gesehen ist die diese SL wohl die technische Crux der Tour, wobei es mit weniger Schnee und Eis sicher einfacher wäre. Von hier aus gehen wir jetzt parallel in leichtem, etwas brüchigen Fels zum Biwakband, welches den Beginn der eigentlichen Kletterei 'markiert'. Mittlerweile erreichen uns die ersten Sonnenstrahlen, die Kraxelei wird zum Hochgenuss.
Als nächstes gilt es die Traverse nach rechts in Couloir zu finden. Vom Biwakband, unmittelbar bei der gut sichtbaren abgespaltenen Riesenschuppe, steigt man etwa 15m hoch, um dann ein zweites, kleineres Band zu erreichen, auf welchem wir mit einer langen Rechtsquerung das Couloir erreichen. Dieses ist gefürchtet wegen des Steinschlages. Etwas zu Unrecht, finde ich. Denn man braucht eigentlich gar nicht im Couloir zu klettern, sondern kann im Schnee auf der linken Seite hochsteigen. Wir machen hier den Fehler, ohne Steigeisen zu klettern, denn teilweise ist das Gelände eisig. Die Kletterei ist allerdings wirklich leicht, nach etwa einer halben Stunde erreichen wir die Gratschulter und wechseln auf die Kletterfinken. Übrigens, kleiner Hinweis an dieser Stelle: Auch wenn an manchen Orten geschrieben steht dass die Kletterei in den schweren Schuhen besser geht, dies ist sicher nicht so, denn vielfach muss man auch piazen, was definitiv angenehmer in den Finken ist. 
Von hier steigen wir leicht rechts des markanten Gendarmen auf - was auf dem Foto nach trivialer Blockkletterei ausschaut, entpuppt sich allerdings als deftige Verschneidungskletterei, und gibt einen Vorgeschmack auf das noch Kommende! 
Es folgt eine leichtere Seillänge mit einem hübschen, kleingriffigen Wändchen (5a), welches mit den Finken gut kletterbar ist.
Kurz darauf erreichen wir eine der berühmtesten Stellen, die 'Fissure de la grande mere': Eine fotogene, wie mit dem Lineal gezogene Rissverschneidung. 
Bild tk
Eindrücklich, aber schlussendlich gäbig zu klettern. Unbedingt den 3er Cam als Absicherung bereithalten!
Es folgt wieder eine etwas leichtere Seillänge leicht links der Gratkante. Und schon folgt die nächste Herausforderung: Ein tiefer, schattiger und schneegefüllter Kamin, der nur mit viel Körpereinsatz kletterbar ist. Der Rucksack ist hier hinderlich, man kann sich damit behelfen ihn an den Gurt zu hängen oder auf der Seite tragen. 
Eine weitere, wiederum leichtere Länge, dann stehen wir vor dem 'Y-Kamin'. Die Crux dieses imposanten Offwidths ist gleich zuunterst und erfordert wiederum 'Full body contact'. 
Bild tk
Hier Thomas in der darauf folgenden Seillänge - perfekter Granit Marke Chamonix!
Der Grat wird jetzt steiler und schärfer. Über eine luftige Platte (1 Nh), einen 'Geissenrücken' und einen Fingerriss (mehrere Nh) erreiche ich eine kleine Plattform, wo ich Stand an Cams mache.
Diese Plattform ist auf den ersten Blick eine Sackgasse - aber nein, man kann nach links auf einem Gesimse queren, um dann über schöne Risse leichteres Gelände zu erreichen. 
Wir befinden uns jetzt im obersten Teil des Grates, der hier mehr den Charakter einer gegliederten, recht steilen Wand hat. War die Routenfindung bis jetzt eigentlich problemlos, ist hier der leichteste Weg nicht mehr klar ersichtlich. Allerdings entdecken wir etwas weiter oben ein altes Fixseil, und dieses klettern wir an. Das Fixseil selber macht eigentlich keinen Sinn, die Stelle lässt sich in schöner Kletterei (etwa 5b) freiklettern. Wir erreichen ein kleines Band. Allerdings scheint hier wirklich fertig lustig zu sein. Glatte Wände verunmöglichen ein Weiterkommen! Als einziger Ausweg bietet sich ein stumpfer Riss an, der vollgestopft mit alten Klemmkeilen ist. Der Riss ist ziemlich schwer frei zu klettern, wohl so im Bereich um die 6b. Ich behelfe mir mit A0, geht insofern recht gut. Allerdings weiss ich bis heute nicht ob wir hier wirklich noch auf dem richtigen Weg waren. Anyway, wir erreichen jetzt endgültig leichtes Gelände, und erreichen über die Südwand in einer weiteren Seillänge den Gipfel der Aiguille de Plan - es ist mittlerweile viertel vor Eins, wir haben vom Einstieg also etwa siebeneinhalb Stunden gebraucht.
Hier ist die Tour allerdings noch nicht fertig, denn es folgt noch der Midi-Plan Grat hoch zur Aiguille du Midi. Der Schnee ist weich, die Kletterei hoch zum Rognon du Plan anstrengend. Immerhin, dank einer guten Spur geht die kombinierte Gratkletterei recht gut. Und so erreichen wir dreieinhalb Stunden später (inklusive einigen Pausen) die Bergstation, wo wir die leeren Speicher wieder füllen können!

Facts:
Aiguille du Plan, Ryan-Grat, S+, 5b, A0 

Material: Set Cams, insbesondere die grösseren Nummern (0.75 - 3), genug Zackenschlingen, Pickel, Steigeisen, Eisschrauben, evtl. zweites Eisgerät für den Vorsteiger.

Grosse Klettertour mit einem komplizierten Gletscherzustieg und einer hochalpinen Grattraverse als Abschluss. Sehr schöne, anstrengende Kletterei, unbedingt empfehlenswert!